Gewehr im Anschlag
Don Kosaken - da war doch was. Sind das nicht diese wilden, Schnauzbart tragenden Männer. Immer ein Pferd unter dem Pferd unter dem Hintern und ein zünftiges Lied auf den Lippen? So eine Mischung aus Legolas aus "Herr der Ringe" und Rumpelstielzchen? Denkste. Das steht ein Besuch bei den Don Kosaken auf dem Programm, man freut sich auf Trachten, Folklore und gebratenem Fisch aus dem Don, die Kamera schon im Anschlag, die Zunge zum Schnalzen bereit - und dann steht man plötzlich vor einer Klasse halbwüchsiger Kosaken, die nicht den Hauch eines Bartflaums haben aber die Brust in der Uniform um so stolzer schwellen. Die "Verteidiger des Vaterlandes"nennen sie sich. Angeblich werden an der Kosakenschule ja auch Tanz und Brauchtum gelehrt, ist aber kaum vorstellbar. An den Wänden hängen die Bilder alter Kosakenhelden und in den Regalen ABC-Schutzanzug, Gasmaske und Stahlhelm. Angeblich stehen den Internatsschülern nach dem Abschluss auch alle Berufsrichtungen offen: Arzt, Ingenieur, Architekt. Und was wollen sie werden? Offiziere - allesamt. Auf den Mund gefallen sind die jungen Herren jedenfalls nicht. "Alle Männer sind Krieger", sagen sie und nehmen flugs die Gäste aus dem Ausland in die Zange. "Worauf sind die Menschen in Deutschland stolz? ... Worauf begründet sich ihr Patriotismus? ... Wie kann man denn auf Kultur stolz sein? ... Was waren die größten militärischen Siege der Deutschen? ... Vergesst mal den 2. Weltkrieg. Eure Soldaten waren tapfere Krieger. ... Wer hat denn eurer Meinung nach den Georgien-Krieg angefangen? ... Soll die Ukraine in die NATO? Wenn es Krieg zwischen den USA und Russland gibt - für welche Seite entscheidet ihr euch?" STOP! ... Mit gequälten Mienen erklärt die Journalistengruppe, dass sie alles dafür tun würden, dass es zu so einem Krieg nicht kommen werde.
Die Jungen sind ein wenig ratlos. So wenig Patriatismus - versinkt Deutschland dann nicht bald im Terror, Kriminalität, Extremismus und Drogen - kurz im totalen Chaos? Die Antwort übernimmt Alexander Grigorowitsch - Offizier, Erzieher, Historiker, Museumsleiter und Strenge-Blicke-Verteiler. Mit seinen 1,60 Meter und den O-Beinen sieht er aus wie das Abbild eines Reit-Jockeys. Aber Alexander Grigorowitsch ist Fallschirmspringer und Fliegerheld. Er trägt noch immer die Uniform der russischen Armee, auf der die Blutgruppe und der Rhesusfaktor aufgestickt sind. Alexander Grigorowitsch ist also für alle Kriegsfälle vorbereitet und holt mal eben zu einem atemlosen Referat über das preußische - also deutsche - Militärwesen und die Freundschaft zwischen Otto von Bismarck und Zar Alexander III. aus. Was das nun mit der Liebe zum Vaterland zu tun hat? Keine Ahnung. Auf jeden Fall sind die Jungs jetzt in weniger vermintes Gelände vorgedrungen. Was dieses "Hoffenheim" ist, von dem sie gehört haben und ob Michael Ballack wohl am Wochenende spielen kann? Schnell noch ein paar Erinnerungsfotos mit den Gästen, dann gehts ab in die Kantine - im Stechschritt versteht sich.
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Eine Stunde später gibts dann doch noch Kosaken, wie dem "Kurier des Zaren" entstiegen. In Starotscherkassk, der alten Hauptstadt der Don Kosaken, ist die Luft Anfang November immer noch schwer vom Duft der Blätter und Staub der Steppe. Zwischen den vereinzelten Häusern verliert sich der Blick in der braunen Endlosigkeit. Irgendwo dort hinten soll es auch Kamele geben. Und singen können sie, die Don Kosaken. Mit soviel Inbrunst, dass man sofort die paar Meter zum trägen Don schlurfen möchte und sich in den glitzernden Fluten ertränken. Die Stiefel knallen auf dem Parkett, die Augenbrauen rutschen immer tiefer vor Gram und die Fäuste schwirren durch die Luft. Man versteht kein Wort von dem, was sie da singen und fragt sich: Ob auch sie davon träumen, ihr Leben dem Vaterland zu opfern?
PS: Beim Flug an den Don von Selbstgesprächen übermannt. Da sitzt du in einer russischen Maschine, die dem Namen einer hippen russischen Fluggesellschaft trägt und deshalb einen noch hipperen englischen Namen trägt, spürst wie die Maschine zittert und hörst plötzlich in deinem Kopf diesen Nachrichtensprecher: "In Russland ist heute Nachmittag eine Flugzeug der Gesellschaft Sky Express abgestürzt. Die Maschine war auf dem Weg von Moskau nach Rostov. An Bord waren 50 Insassen, darunter eine Deutsche." Du denkst daran, wie du bei solchen Meldungen immer schnell weghörst. Und dann wird dir bewusst, dass du jetzt selbst in so einer Maschine sitzt. Wie kommt man auf solche Gedanken? Vielleicht liegt es daran, dass mir die Stewardess vor dem Start den Zettel mit den Tipps für das Verhalten im Notfall in die Hand drückte und mit ernstem Gesicht darauf bestand, dass ich alles ganz genau lese. Ihr Vertrauen in das Flugzeug scheint nicht allzu groß zu sein. Und sie muss es schließlich wissen.
Mischkala - 8. Okt, 16:06